- Stadtbaukunst mit Zirkel und Lineal: Plätze, Gärten und Bastionen
- Stadtbaukunst mit Zirkel und Lineal: Plätze, Gärten und BastionenSchon Leon Battista Alberti erklärte in der Renaissance mit seinem Traktat »Über die Baukunst« (»De re aedificatoria«, 1451) die Anlage einer Stadt zum Kunstwerk. Auch wenn sich seine ästhetischen Vorstellungen von planmäßig errichteten Idealstädten in seiner Zeit nur selten verwirklichen ließen - zum Beispiel in der ab 1459 umgebauten päpstlichen Miniaturresidenz Pienza -, gewann doch in den folgenden Jahrhunderten die Forderung nach regelmäßig gestalteten Stadtformen an Bedeutung. Im Zeitalter des Absolutismus errichteten dann die allein regierenden Monarchen ihre Residenzen als hierarchisch gegliederte und straff geordnete Gesamtanlagen, die zugleich das Leitbild eines geregelten und durchgestalteten Staatswesens versinnbildlichen sollten. Natürlich ließ sich dies in alten, gewachsenen Stadtstrukturen nur begrenzt realisieren. Neugründungen hingegen konnte man problemlos den neuen Vorstellungen anpassen.Die Kriegszerstörungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts trugen in Deutschland zu dieser Entwicklung bei. Die Kurfürsten von der Pfalz verlegten 1720 ihre neue, weitläufige Residenz vom zerstörten Heidelberger Schloss in die Ebene nach Mannheim. Auch die Markgrafen von Baden-Baden erneuerten ihr verwüstetes Bergschloss nicht mehr, sondern gründeten im Jahr 1700 Stadt und Schloss Rastatt nach einheitlichem Plan. Die Linie Baden-Durlach erbaute Karlsruhe, dessen Grundriss ein Paradebeispiel des Reißbrettentwurfs ist: Die 1715 von Markgraf Karl III. Wilhelm in Auftrag gegebene Anlage vereint strikte geometrische Konstruktion und symbolhafte Bedeutung. Im Zentrum liegt der achteckige Schlossturm, von dem sternförmig 32 Achsen ausgehen. Eine Ringstraße umgibt den engeren Kern der Anlage, über den die Alleen wie die Strahlen der Sonne scheinbar ins Endlose hinausgreifen. Die Stadt legt sich nach Süden hin an, auf der Nordseite des Schlosses befindet sich ein riesiger Wildpark. Die radial angelegten Residenzflügel, Kavaliershäuser, Stallungen und Verwaltungsbauten umschließen einen sich zur Stadt weitenden Vorplatz. Zentrum ist der Herrschersitz, die Stadt wird zur Peripherie. Der Unregelmäßigkeit topographischer Gegebenheiten wird der kontrollierte Weltentwurf des Monarchen entgegengestellt.Diesem Ordnungsgedanken wie auch Idealstadtvorstellungen entsprach gleichfalls die Neuanlage von regelmäßigen Plätzen inmitten alter Stadtkerne. So arbeitete ab 1539 Michelangelo an der Neugestaltung des Kapitols in Rom. 1585 beauftragte Papst Sixtus V. Domenico Fontana mit der Zusammenbindung der verschiedenen Pilgerkirchen Roms durch axiale Straßensysteme. Unter Heinrich IV. erhielt Paris mit der quadratischen Place Royale (der heutigen Place des Vosges), der dreiseitigen Place Dauphine vor dem Pont-Neuf und gegen Ende des 17. Jahrhunderts mit der repräsentativen Place Louis-le-Grand (der heutigen Place Vendôme) gleichmäßig architektonisch durchgestaltete urbanistische Akzente.Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung in Berninis Kolonnadenrahmung des Petersplatzes in Rom. Seit der Vollendung von Neu-Sankt Peter am Anfang des 17. Jahrhunderts hatte es zahllose Pläne für eine angemessene Gestaltung des Vorplatzes der Basilika gegeben. Aus diesen Vorstufen entwickelten Bernini und Papst Alexander VII., der sich von antiken Vorbildern inspirieren ließ, 1656 das Queroval des Platzes und den als geschützten Prozessionsweg dienenden Kolonnadengürtel. Die Überleitung vom Platz zur Basilika über zwei leicht konvergierende Korridore - eine Reminiszenz an Michelangelos Kapitolsplatz - überwand den Höhenunterschied der Hügellage. Die optisch durchlässige Raumschranke der Säulenreihung grenzte aus dem Gewirr der Vorstadtbebauung zwischen Vatikan und Tiber einen klar abgesteckten Bereich aus, der sich - wie Bernini es formulierte - »wie mit ausgestreckten Armen« dem Pilger öffnete, der aus den engen Straßen zwischen Engelsbrücke und Basilika hervortrat. Die festliche Komponente der Architektur ist eine typisch römische Eigenart, die sie von den eher nüchternen regelmäßigen Platzlösungen in Paris unterscheidet.Die Geometrisierung aller Erscheinungsformen äußerte sich vielleicht am eindrücklichsten in den Gärten, welche die Schlösser und ihre Umgebung zu einer symmetrischen, gerichteten Anlage verbanden. Ursprünglich auf italienische Vorbilder der Renaissance zurückgehend - etwa die berühmte Villa d'Este in Tivoli bei Rom mit ihrem in Terrassen abfallenden Park, den Wasserspielen, Brunnen und Grotten -, entwickelte sich in Frankreich im 17. Jahrhundert die große Tradition der barocken Gartenkunst. André Le Nôtre, der bedeutendste Gartenarchitekt dieser Epoche, begann seine Karriere 1653 mit der Anlage der Gärten von Vaux-le-Vicomte. Hier bezog er die örtlichen Gegebenheiten - das Gelände fällt leicht ab, um in einiger Entfernung wieder anzusteigen - in seine Gestaltung ein, indem er das Terrain in mehreren Terrassen abstufte. Schloss und Garten sind auf einer großen Längsachse mit betont perspektivischem Tiefenzug angelegt, die von mehreren Querachsen durchschnitten wird. Auf den ersten, dem Schloss am nächsten liegenden Terrassen befindet sich ein eingetieftes, ornamentales Broderieparterre, das von regelmäßigen Pflanzungen beschnittener Büsche, den Bosketts, gerahmt wird. Rasenparterres mit Brunnenbecken, Kanälen und einem Spiegelteich schließen sich an. Eine Kaskade mit Grotte leitet zum ansteigenden Abschlussbereich über, wo eine Herkulesstatue die Blicke auf sich zieht. Die Gestaltung von Vaux-le-Vicomte trug Le Nôtre den Auftrag für die 1662 begonnene, epochemachende Gartenanlage von Versailles ein.Wie man versuchte, die Gartenanlagen den Vorgaben eines Ortes anzupassen, aber gleichzeitig raumordnende und durchkalkulierte geometrische Muster festzulegen, kommt besonders gut in Bernardo Bellottos 1759 entstandenem Gemälde zum Ausdruck, das den Blick vom Garten des Oberen Belvedere auf Wien zeigt: Die Neigung des Berghangs ist in weite Terrassen überführt, in der Ferne zeichnet sich jenseits des Glacis die Silhouette der mauerumwehrten Stadt wie ein inszenierter Abschlussprospekt vor den Hügeln des Wienerwaldes ab. So wurde der Garten zum idealen Ort des Festes, bei Nacht illuminiert und farbenprächtig von Feuerwerken beleuchtet. Die Inszenierung eines selbst geschaffenen, festlichen Weltbilds wurde aber erst ermöglicht durch die kontrollierte und hierarchisierte Regelhaftigkeit, die allen Erscheinungsformen von Architektur, Dekoration und Aufführung gleichermaßen zugrunde lag.Kaskade und Herkules sind auch die beiden beherrschenden Merkmale der großen Gartenanlage in Wilhelmshöhe bei Kassel, die Landgraf Karl von Hessen-Kassel nach einer Italienreise 1701 bei dem italienischen Architekten Giovanni Francesco Guerniero in Auftrag gab. Auf dem Gipfel einer Anhöhe baute dieser das Oktogon des »Riesenschlosses«, das der fast zehn Meter hohen Herkulesstatue als Sockel dient. Die ursprünglich einen Kilometer lang geplante Kaskade, in deren verlängerter Achse sich die Stadt befindet, sollte in sechshundert Stufen vom »Karlsberg« zum Gartenparterre im Tal abfallen. Die Herrscherallüre der raumbestimmenden Achse kommt auch im 1729 begonnenen Jagdschloss Stupinigi bei Turin zum Ausdruck, das Filippo Iuvara für die Könige von Sardinien erbaute. Auf den Mittelpunkt des x-förmigen Baus zielt eine lange Allee, die Schloss und Stadt verbindet. Das Schloss ordnet sich die nahe Umgebung in radialer Ausdehnung unter.Logik, Kalkül, Disziplin und Regelhaftigkeit waren kennzeichend für die Haltung des 17. Jahrhunderts. Nirgendwo ließ sich dies besser ausdrücken als in der Militärarchitektur. Die Verbesserung der Geschütze erforderte den Bau neuer, mächtiger Bollwerke, die die befestigten Städte als Kranz sternförmiger Bastionen umgaben. Idealform einer solchen befestigten Stadt mit regelmäßigem Schachbrettmuster der Straßen war Palmanova bei Udine, 1593 als Festung und Garnisonsstadt der Republik Venedig gegründet. Militärarchitekten und Ingenieure bestimmten nun das Erscheinungsbild der Städte in zunehmendem Maße. Unter ihnen ragte Sébastien le Prestre, Marquis de Vauban, hervor, der zahlreiche Verteidigungsanlagen entwarf, die den Festungsbau der Zeit revolutionierten. Musste er ab 1667 in Lille den Befestigungsring noch dem Stadtgebiet anpassen und konnte er hier nur die Zitadelle als regelmäßiges, sternförmig von Bastionen umgebenes Fünfeck ausführen, ermöglichte ihm die Neuerrichtung der Festungsstadt Neubreisach zwischen 1698 und 1712 eine idealtypische Anlage: Im Kern der achteckigen, schachbrettartigen Stadt liegt ein quadratischer Hauptplatz für Truppenübungen, die Bastionen sind mit einer Neuerung Vaubans, den bastionierten Türmen, verstärkt. Dass regelmäßig konstruierte Baukörper als faszinierende Schöpfungen empfunden wurden, zeigt sich auch in einem Projekt des jungen Johann Bernhard Fischer von Erlach für ein »Landgebäude, welches zur defension dienen kann«. Der seit Sebastiano Serlios Baulehre bekannte Typus der befestigten Villa wird hier als festliche wie militärische Lösung in makelloser Symmetrie vorgestellt.Diese Prinzipien finden sich auch noch im Entwurf für die Hauptstadt der neu gegründeten Vereinigten Staaten von Amerika, die nach deren erstem Präsidenten Washington genannt werden sollte. 1790 wurde das Gelände in der Nähe der am Potomac River gelegenen Hafenstadt Georgetown festgelegt, zehn Jahre später sollten Präsident und Parlament hier residieren. Obwohl sich die Planung von Pierre-Charles L'Enfant mit ihrem Rastermuster durchaus an gängigen Vorbildern orientierte, zeigt sein Lageplan doch auch etwas Neues: Die Hauptstadt konzentriert sich nicht auf ein Machtzentrum, sondern auf zwei Pole. Das Präsidentenpalais - das Weiße Haus - und das Parlamentsgebäude - das Kapitol - behaupten in abgewogener Distanz gleichberechtigte Positionen; zwischen ihnen verläuft als verbindende Achse die Pennsylvania Avenue. Die Repräsentationsform der bürgerlichen Demokratie war damit gefunden.Prof. Dr. Elisabeth KievenBauer, Hermann: Barock. Kunst einer Epoche. Berlin 1992.Hansmann, Wilfried: Gartenkunst der Renaissance und des Barock. Köln 21988.Die Kunst des 17. Jahrhunderts, bearbeitet von Erich Hubala. Beiträge von Per Bjurström u. a. Sonderausgabe Berlin 1990.Middleton, Robinund Watkin, David: Klassizismus und Historismus. 2 Bände. Aus dem Italienischen. Stuttgart 1987.Summerson, John: Die Architektur des 18. Jahrhunderts. Aus dem Englischen. Stuttgart 1987.
Universal-Lexikon. 2012.